Julius von Jan

 

 

Augenzeugenbericht

des unerhörten Vorfalles am Freitag, den 25. November 1938 in Oberlenningen.

 

An diesem Tag fuhren abends gegen 20.00 Uhr eine Anzahl Lastwagen, Motorräder, Personenautos, auch ein Omnibus in Oberlenningen ein, mit denen einige hundert Menschen herbefördert worden waren. Wohl bei der Turnhalle sammelte sich der ganze Menschenauflauf und log von dort singend und grölend zum Pfarrhaus. Im Pfarrhaus war eine Schar junger Mädchen unter Leitung der Krankenschwester zusammen.. die Adventkränze banden. Etwa um 20.30 Uhr Läuteten 2 unbekannte Männer. Das Mädchen der Pfarrleute öffnete und fragte nach dem Begehr. Wahrheitsgemäß erklärte das Mädchen, dass Pfarrer von Jan in Schopfloch sei, worauf die beiden Männer weitergingen. Etwas später wurde erneut und dieses Mal stürmisch geläutet, starkes Rütteln an der Türe unterstrich die Dringlichkeit. Schreie wurden Laut: "Wo ist der Pfarrer, der muss raus!“ Die Krankenschwester fragte dann von oben herunter: "Was wollen Sie?" Antwort: "Wir wollen zum Pfarrer, der muss raus!" Auch die Schwester beteuerte nun ihrerseits, dass Pfarrer von Jan nicht hier, sondern in Schopfloch sei; was jedoch nicht geglaubt wurde. "Der Pfarrer muss da sein, er muss raus!" - "Wo ist er denn in Schopfloch?" Antwort: Das weiß ich nicht, ich weiß nur die Telefonnummer 19!“

Inzwischen hatte sich vor dem Pfarrhaus eine nach 100-den zählende Menschenmenge angesammelt. Es waren lauter unbekannte Männer aller Altersgruppen, dazu alle in Zivil. Wüste Schreie wurden laut. Ein gewaltiger Tumult entstand. Die Oberlenninger Gemeindeglieder selbst wussten nicht, was los war und was das zu bedeuten hatte. Ein ungeheurer Schreck bemächtigte sich ihrer. Nur Einzelnen gelang es, sich mühsam bis zum Pfarrhaus durchzuwinden, wo sie dann Zeugen folgender unglaublicher Vorfälle wurden: 

Kurz nach 20.30 Uhr wurden im Untergeschoss des Pfarrhauses einige Fensterscheiben eingeschlagen, die zum Garten führende Türe mit Gewalt erbrochen. Hierauf drang eine Anzahl unbekannter Männer ins Pfarrhaus ein. Die Mädchen waren natürlich zu Tode erschrocken, als sie diesen Einbruch über sich ergehen lassen mussten. Sie wurden zudem noch angeschrieen: "Was, ihr setzt euch noch zu solch einem Lumpen ins Haus und bindet Adventskränze?" Der Führer dieser Eindringlinge wurde von der Krankenschwester als der Neckartenzlinger Arzt Dr. Walker erkannt. (Dr. Walker war mit einem Schlapphut und einem beigefarbenen Mantel bekleidet.)

Auch die Krankenschwester wurde angeschrieen: "Wo ist der Fetz, raus mit dem Lumpen! Sie müssen doch wissen, wo der Pfarrer ist!" Der Wahrheit entsprechend antwortete diese: "Herr Pfarrer v. Jan ist in Schopfloch". Das ganze Haus wurde vom Keller bis zum Dachboden, einschließlich dem WC, auf das genaueste durchsucht. Wunderbarerweise merkte das Kind der Pfarrleute, ein kleiner 4-jähriger Bub, von dem ganzen Einbruch nichts, wiewohl die Männer auch in sein Schlafzimmer eingedrungen waren. Vor dem Pfarrhaus steigerte sich der Tumult ungeheuer. Wildes Schreien, Sprechchöre, nicht wieder zu gebende Beschimpfungen und Schmähungen lösten einander ab: "Auf der Miste kräht der Hahn, - ins Kittchen muss der Pfarrer Jan." "Der Landesverräter muss heraus! - Judenknecht - Juda verrecke - zündet doch die ganze Bude an! - usw.“

Inzwischen war ein Personenauto nach Schopfloch gefahren. Die Krankschwester hatte ihrerseits bereits telefoniert; so war Pfr. v. Jan eben dabei ans Telefon zu gehen, als die 4 Mann.. die von Oberlenningen nach Schopfloch gefahren waren, vor dem Pfarrhaus ankamen und nach einem kurzen Wortwechsel Pfr. v. Jan gewaltsam ins Auto abdrängten.

In Oberlenningen war es einem Vater der im Pfarrhaus anwesenden Mädchen gelungen, sich zu diesem durchzuwinden. Unter seinem Schutz konnten dann diese Mädchen weinend und am ganzen Körper zitternd dasselbe verlassen. Die im Pfarrhaus zurückgebliebene Schwester und das Mädchen der Pfarrleute traten nun ans Fenster und waren entsetzt ob der ungeheueren und wild sich gebärdenden Menschenmenge. Trotz des furchtbaren Gebrülls konnten sie einige Wortfetzen verstehen: "Der Hund soll laufen, - jetzt wird er in ärztliche Behandlung gebracht, dann versorgt und unschädlich gemacht...!"

In unbeschreiblicher Angst stürzte die Krankenschwester auf die Straße. Die große Menge war jedoch bereits mit dem Pfarrer weg, so dass sie nur noch ein paar Nachzügler fragen konnte: "Was ist mit unserem Herrn Pfarrer passiert, warum muss er in ärztliche Behandlung?" Sie erhielt zynisch zur Antwort: "Machen Sie, dass Sie in Ihr Pfarrhaus kommen, sonst geht's Ihnen wie dem da!“ bzw. wurde ihr entgegnet: "Was, die Krankenschwester hält auch noch zu diesem Lumpen!" Vor dem Pfarrhaus hatte sich Folgendes ereignet, was die Krankenschwester nicht gesehen hatte: Das nach Schopfloch gefahrene Auto kam mit Pfr. v. Jan zurück. Es war mit ungeheurem Geschrei begrüßt worden. Zunächst stiegen zwei der begleitenden Männer aus, hierauf Pfr. v. Jan. Die Menge hatte sich dicht herangedrängt und begann sofort auf Pfr. v. Jan entsetzlich einzuhauen. Die Fäuste flogen nur so. Grauenvoll war der Anblick der rasend gewordenen Menschen. Immer wieder wurde der Misshandelte hochgehoben, um dann erneut geschlagen, gestoßen, gepufft und getreten zu werden. Der Landjäger suchte der Menge Einhalt zu gebieten: "Jetzt ist's aber genug!" Plötzlich wurde v. Jan auf das Dach eines Holzschuppens gegenüber des Pfarrhauses geworfen. Einer der Wüstlinge stieg nach und versetzte dem regungslos Daliegenden noch einen gewaltigen Stoß, nachdem er ihn zuvor ein Stück hochgezogen hatte. Geraume Zeit blieb der Pfarrer auf dem Dach liegen.

Seine Beine hingen über das Dach herunter, was die Nächststehenden benutzten, um in dieselbe grausam zu zwicken. Auch wurde Pfarrer v. Jan hierbei durchsucht und seines Geldbeutels, in dem ca. 20.00 RM waren, beraubt. Nach einiger Zeit wurde er dann an den Beinen heruntergezogen und hätte sicher seinen Kopf schwer auf den Boden aufgeschlagen, wenn nicht der Landjäger noch rasch seine Hände darunter gehalten hätte. Bewusstlos war Pfr. v. Jan zusammengebrochen. Wilde Schreie nach einem Mistwagen wurden laut. Einige beherzte Männer griffen jedoch zu und trugen den Bewusstlosen vom Pfarrhaus bis zum Rathaus. Unter den sonst unbekannten Männern war ein Oberlenninger Bürger. Die Träger mussten auf dem ganzen Weg eine Reihe von Püffe und Schläge aushalten. Im Rathaus, das erst aufgeschlossen werden musste, und in das die noch immer wild sich gebärdende Menge einzudringen versuchte, wurde der Bewusstlose auf ein paar Stühle gelegt. Lange blieb er darauf liegen. Das unmenschliche Geschrei auf der Straße ging ununterbrochen weiter. Nach geraumer Leit kam Pfr. v. Jan auf einen Anruf hin wieder zum Bewusstsein und erhob sich. Kaum war er aufgestanden, als einer der vertierten Menschen ihm noch einen heftigen Schlag ins Gesicht versetzte. Stehend wurde er einem Verhör unterzogen. Aus einem der Fenster des Rathauses verkündigte hierauf einer der Anführer der wartenden Menge: "Der Pfarrer habe sich nur verstellt, er sei wieder wohlauf. Jetzt könnt ihr sehen, wie scheinheilig die Pfaffen sind, einer wie der andere. Der, der sich vorhin nicht mehr geregt hat, der marschiert nachher durch Oberlenningen." Wildes Schreien war die Antwort: "Der Pfaff müsse nach Kirchheim laufen; usw. ... !"

Wohl aus Kirchheim war inzwischen ein Gendarmeriewachtmeister mit dem Auto dicht vors Rathaus vorgefahren. Die wilde Meute forderte unter Drohung: "Wenn es dem nicht passt und der dem Pfaff hilft, kriegt der's auch!" So fuhr dies Auto ein gut Stück vom Rathaus weg, damit der Pfaff noch Spalier laufen müsse, ehe er weg komme. Pfr. v. Jan wurde dann gebracht und musste wohl 50 -60 m unter den unflätigsten Beschimpfungen durch diese zu Bestien gewordene Menschenschar gehen. "Spucket den Lumpa doch a!" war dabei noch ein gelinder Ausdruck. Geschlagen oder bespieen wurde v. Jan jedoch nicht, nur einer der vertierten Menschen leuchtete ihm ununterbrochen mit einer Taschenlampe ins Gesicht.

Die ganze Gemeinde war ob dieses räuberischen Überfalles, ob solch unmenschlichen Verhaltens deutscher Volksgenossen bis ins Innerste erschüttert, empört und aufgebracht. Es war ihr, als ob die Schrecken des 30-jährigen Krieges über sie hereingebrochen wären. Sie kam sich vor, wie wenn eine Verbrecherbande über sie hergefallen wäre. Wohl kaum ein Mensch hat in der folgenden Nacht ein Auge zutun können, so gewaltig war der Schreck in sie alle gefahren. Auf das erschreckte Fragen der Oberlenninger, wer sie (die Eindringlinge) eigentlich seien, erhielten sie die Antwort: "Wir sind die S.S. von Nürtingen."

Unglaublich, dass solche Dinge heute geschehen dürfen. Wenn der Pfarrer etwas Unwahres gesagt oder etwas Unrechtes getan hat, dann mögen da ordentliche Gerichte einschreiten und ihn zur Rechenschaft ziehen. Warum darf ein Mann, der zudem den ganzen Weltkrieg als Freiwilliger mitgemacht hatte und 2 Jahre in englischer Gefangenschaft war, auf solch brutale und unsagbar beschämende Weise misshandelt und verhaftet werden?

Niemals haben wir Oberlenninger so etwas für möglich gehalten und würden es auch nimmer glauben, wenn wir es nicht selber so bitter erlebt hätten.

 

- 6 Unterschriften von Augenzeugen -

 

 

 

 

Ausführliche Predigt                                  Eigener Bericht von Pfarrer von Jan